Samstag, 2. August 2008
Heute erreiche ich Russlands Grenze zu Lettland. Die Blechkolonne reicht mehr als 10 Kilometer zurück und ich kann die LKWs mit dem Motorrad glücklicherweise sehr leicht überholen.
Die Formalitäten des Grenzübertritts erweisen sich auf beiden Seiten als absolut problemlos. Nach weniger als einer halben Stunde habe ich Russland verlassen und mit der Einreise nach Lettland bin ich wieder in der Europäischen Union. Mein letzter offizieller Amtsweg führt mich schließlich zum Zoll um auf meinem Carnet de Passage die Wiedereinfuhr des Motorrades in die EU zu bestätigen. Die Beamten schauen etwas ungläubig als ich ihnen erzähle, dass ich schon seit fast zwei Jahren unterwegs bin. Ich bekomme aber sofort meinen Stempel und damit habe ich freie Fahrt, sowie noch rund 1500 Kilometer vor mir bis nach Wien.
Sonntag, 3. August – Donnerstag, 7. August 2008
Lettland verwöhnt mich mit Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Die Straßen sind neu asphaltiert und seit 13000 Kilometern kann ich endlich wieder die Ortsnamen fehlerfrei entziffern.
In Lilvarde, etwa 45 Kilometer außerhalb von Riga, finde ich ein nettes Sporthotel wo ich ein paar Tage bleiben werde. Das direkt am Wasser gelegene Hotel ist an einen kleinen Yachtclub angeschlossen und im Sommer ein angenehm kühler Platz mit einem hervorragenden Restaurant.
Die Lettische Küche ist reich an Spezialitäten und im Gastgarten kann man herrlich die Nachmittage verbringen.
Riga, die Hauptstadt Lettlands, ist natürlich unbedingt
einen Besuch wert. Die wunderbar erhaltene Altstadt, mit ihren schmalen Gassen
und verträumten Winkeln, lädt geradezu zum flanieren ein und hat im Sommer ein
südländischer Flair.
Auf den Plätzen erfreuen sich Besucher aus aller Welt an der Musik der Straßenmusikanten und in den schattigen Cafes erholt man sich vortrefflich bei einem Capuccino.
Freitag, 8. August 2008
Schweren Herzens verabschiede ich mich von Riga und den
freundlichen Menschen Lettlands. Auf meiner Reise in Richtung Litauen werde ich
die Hauptroute noch einmal verlassen und etwas abseits über die Nebenstrassen
fahren. Noch gibt es in Lettland wirklich hervorragende Schotterpisten und ich
verbringe den Tag in der Natur ohne viel Verkehr.
Seit dem Beitritt des Baltikums zur Europäischen Union ist
die Infrastrukturverbesserung voll im Gange und fast alle der
Hauptverkehrsrouten befinden sich unter Konstruktion.
Nach etwa 200 Kilometern Fahrt durch Litauen erreiche ich bereits die Grenze zu Polen. Ich fahre über Suwalki nach Masuren und erlebe an der Polnischen Seenplatte einen Sonnenuntergang der selbst in Afrika nicht eindrucksvoller sein könnte.
Samstag, 9. August 2008
Meine Fahrt durch Polen wird mir wohl immer durch die
zahlreichen Alleen in Erinnerung bleiben. Ich fahre kaum über eine Strasse
neben der nicht Bäume gepflanzt sind. Was im Winter bestimmt einen guten Schutz
vor Schneeverwehungen bedeutet, raubt einem im Sommer leider die Aussicht auf
die wunderschöne Natur. Ich habe das Gefühl ich fahre von einem grünen Tunnel
zum nächsten.
Sonntag, 10. August 2008
In der Früh ändert sich das Wetter und es beginnt heftig zu
regnen. Zum Glück bin ich nur mehr rund 400 Kilometer von zu Hause entfernt und
denke mir, wie schlimm kann ein Regen in Europa schon sein. Im Kongo, in Angola
oder Zentralamerika, das waren Regenzeiten an die ich mich mit Schaudern erinnere,
aber hier, das kann kein Problem sein.
Von wegen kein Problem, wie sich schnell herausstellt. Der
Regen ist so heftig, dass mir nach etwa 200 Kilometern an einer Ampel die
Maschine abstirbt und sie sich vorerst auch nicht mehr starten lässt. Die
Kombination aus Nässe, höherer Geschwindigkeit auf den Landstrassen sowie
niedriger Lufttemperatur lässt meine für tropische Gefilde aufgebaute R 80 GS
mit Ölkühler etwas zu stark unterkühlen und die Drehzahl fällt soweit ab, dass
sie am Stand abstirbt.
Was normal kein Problem wäre erweist sich im kühlen Regen
Polens zumindest als lästig. Da auch meine weiteren Startversuche fehlschlagen
tippe ich auf Wasser im Vergaser und behalte zum Glück recht. In beiden
Schwimmerkammern haben sich große Wasserblasen gesammelt und als ich diese
entferne startet die Maschine wieder. Unbedenklich ist eine Regenfahrt hier
also keinesfalls. So erschreckt habe ich mich eigentlich seit Togo nicht mehr,
wo mir vor fast zwei Jahren die Bordelektrik abbrannte.
Als mich später eine Pilgergruppe freundlich grüßt bedanke
ich mich ehrfürchtig für Gottes Unterstützung auf meinem langen Weg und
schwenke auf die Zielgerade ein.
Jenes Straßenschild lässt mich innehalten und in meinem Kopf
verschmelzen plötzlich Gegenwart und Vergangenheit. Wien liegt vor mir. In Wien
war ich vor beinahe 2 Jahren mit dem Motorrad aufgebrochen um die Welt zu
umfahren. Niemand, genauso wenig wie ich selber, konnte sagen ob das Projekt
gelingen würde. Es gab zu viele unbekannte Faktoren und selbst gewissenhafte
Planung und Vorbereitung konnten diese nicht alle ausräumen. Und nun, nach 60
000 gefahrenen Kilometern durch 36 Länder, bin ich fast am Ziel dieser langen
Reise. Ich fühle mich wie ein Pilger des Jakobsweges, der nach langem und
forderndem Marsch endlich vor seinem Ziel steht und in der Abendsonne bereits
die Türme der Kathedrale von Santiago de Compostella erkennen kann.
Mit der untergehenden Sonne überquere ich die Grenze zu
Österreich und tauche ein in die Abenddämmerung meines letzten Reisetages. Die
Natur riecht vertraut und als ich den Donaustrom überquere schimmert das
Mondlicht bereits sanft über den Wellen. Ich finde mich zurecht als wäre ich
gestern hier gewesen und fahre wie automatisch nach Hause.
Damit schließt sich der Kreis den ich selbst geöffnet hatte.
Das schmale Band Asphalt vor meinem Haus, das mich einst hinaus in die Welt
führte, empfängt mich wieder als wäre ich nie weg gewesen. Wenn ich mich
umdrehe wirken die zurückgelegten 60 000 Kilometer bereits unglaublich. Auch
wenn der Wind meine Spuren im Sand schon wieder verweht hat, so werden die
Erinnerungen in meinem Herzen und in den Herzen derer, die mich begleitet
haben, für immer bestehen bleiben. Unser Erde ist mir durch meine Reise ein
etwas bekannterer Ort geworden und meine Fahrt vermittelte mir, so meine ich,
eine außerordentlich privilegierte Perspektive auf Länder, Kulturen und
Menschen, die sich in natura erfrischend positiv vom virtuellen Wahrheitsanspruch
der internationalen Medien abhoben und mich als Fremden mit uneingeschränkter
Gastfreundlichkeit und Hilfsbereitschaft aufnahmen. Die Zeit ist dabei jedoch
nicht stehen geblieben.
Überall erkennt man in welch rasantem ökonomischen und
kulturellen Wandel sich unsere Gesellschaft gerade befindet. Die
Modernisierungen des 21 Jahrhunderts brachten die weltweite Vernetzung von
Informationstechnologien mit sich und leiteten den Übergang in eine schnell
reagierende und weltweit agierende Informationsgesellschaft ein.
Die Auswirkungen dieser Entwicklungen sind sowohl positiv
als auch negativ.
Aktuelle - vorwiegend westliche - Interventionen in fremden
Kulturräumen, oder vielmehr in Schurkenstaaten - wie es zur politischen
Instrumentarisierung der öffentlichen Meinung
gerne bezeichnet wird - machten deutlich welch gefährliche
Konstellationen entstehen können, wenn politische Entscheidungen auf einer
tragischen Reduktion und Fehlinterpretation der Realität beruhen und wie ihre
Auswirkungen zu humanitären Katastrophen führen – oder wie Humboldt es
ausdrückte – am gefährlichsten eben die Weltanschauung derer ist, welche die
Welt nie gesehen haben.
Unsere Erde ist ein faszinierender Platz, dessen Faszination
vor allem in seiner großen Vielfalt und
Unterschiedlichkeit liegt. Wenn wir das akzeptieren und den Mut haben fremden
Kulturen mit Interesse und Respekt entgegenzutreten, dann werden wir nicht nur
in der Ferne als Freund aufgenommen werden, sondern auch im Kreis unserer
Lieben zu Hause ein ganzes Stück zur Freude beitragen.